Ist die Realität eine Illusion? Leben wir in einem Hologramm? Existiert die Matrix? Gewagte Thesen. Aber: Lebten wir alle tatsächlich in einer Matrix, müssten wir uns fragen, wer dieses Konstrukt geschaffen hat. Und zu welchem Zweck. In der oft bemühten „Matrix-Trilogie“ (1999 – 2003) standen intelligente Maschinen hinter der Machenschaft. Die Menschen? Nichts als Batterien. Doch wer oder was steht hinter dem, was wir mit den Augen sehen und mit den Händen angreifen können?
Die andere Seite
Im bekannten Roman „Die andere Seite“ vom österreichischen Schriftsteller Alfred Kubin geht die Realität nahtlos in eine Nebenrealität über. Man könnte auch sagen, die Realität wird zur Sur-realität, zu einem traumhaft-unwirklichen Szenario mit eigenen Regeln.
Wir neigen dazu, das als real zu begreifen, was wir sehen und angreifen können. Tagtäglich. Dabei ist Realität nur das, was wir etwa 16 Stunden lang fühlen, denken, sehen und erleben. Die anderen 8 Stunden schlafen wir. In dieser anderen „Realität“, im Traum, werden wir von Monstern verfolgt, fliegen herum und hören unserem Hund beim Sprechen zu.
Diese Realität stufen wir für gewöhnlich ab. Hier gelten keine Naturgesetze. Wir bewegen unseren physischen Körper nicht wirklich. Das sind nur Blasen des Gehirns, während das Alltagsbewusstsein auf stand-by gesetzt ist. Nichts Wirkliches.
Und dennoch schreibt Alfred Kubin 1922: „Das Leben ist ein Traum. Nichts scheint mir zutreffender als dieses altbekannte Gleichnis.“
Versteht man Alfred Kubin weniger metaphorisch als wörtlich, so überwirft er das Realitätsverständnis – nunmehr in Stunden ausgedrückt – wie folgt: 8 Stunden sind Realität, 16 Stunden sind Traum. Das heißt, dass das tägliche Leben, jedes Gespräch, jede Autofahrt, jedes Ereignis in „Wahrheit“ nur Geträumtes ist, und dass die Traumrealität in Wahrheit die Wirklichkeit ist.
Doch wie kam Alfred Kubin darauf? Und außerdem William Blake? Sowie Aldous Huxley? The Doors? Und nicht zuletzt The Red Hot Chilli Peppers mit „The Other Side?“
Paranormale Wahrnehmung
William Blake, 18. u 19. Jh., Dichter, Naturmystiker und Künstler, war hellsichtig. Aldous Huxley, 1884 – 1963, der britische Schriftsteller, bekannt für „Schöne neue Welt“ wurde von Jiddu Krishnamurti beeinflusst und nahm Meskalin, interessierte sich darüber hinaus für mystische Philosophie und Parapsychologie. Er schrieb den bekannten Essay „The Doors of Perception“ – zu deutsch „Die Pforten der Wahrnehmung“. Anthony Kiedis, Sänger der Red Hot Chilli Peppers, blickt im Song „The Other Side“ auf seine Drogensucht nicht unbedingt reuevoll zurück, denn er singt: „I don’t believe it’s bad“. Jim Morrison, Sänger von „The Doors“, nahm ebenfalls LSD. Er wiederum war für den Song „Break on through to the other side“ bekannt.
Wir sehen also: Die Türen (The Doors) zur anderen Seite (The Other Side) werden in traumähnlichen Zuständen gefunden und mit oder ohne (psychoaktiven) Substanzen geöffnet/erschlossen.
Das heißt für den, der sich nicht an seine Träume erinnern kann, der nicht hellsichtig ist und keine Psychedelika nimmt, ist diese andere Welt nicht existent. Und es bedeutet auf einer einfachen Ebene, dass nichts Realität und/oder Illusion ist, sondern dass alles Realität und Illusion ist, gleichzeitig, und dass hinter allem, was wir sehen und angreifen können, nur das Unbewusste steht, eben das, wohin sich unser Bewusstsein in diesem Moment nicht bewegen kann. Sohin ist lediglich nur das Realität, was mit der für diesen Augenblick geltenden Bewusstseinskapazität erfasst werden kann, und zwar völlig egal, ob sich das Bewusstsein gerade auf dieser – oder der „anderen Seite“ befindet.
Fragte man beispielsweise einen Träumer im Traum, ob er wisse, dass er gerade träume, würde er vermutlich seine momentan erfasste Realität als absolut wahr begreifen. Soeben war er noch im Casino und löste Jetons ein, die er mit Bananen bezahlte, oder er krabbelt wie eine Spinne eine Hauswand hinunter, und man fragte ihn: „Entschuldigung, ist dir klar, dass du gerade träumst?“.
Vermutlich würde er, noch während er die Hauswand weiter hinunter krabbelt, nur fassungslos den Kopf über die Frage schütteln.
Ebenso gut kann man frühmorgens in sein Auto steigen und zur Arbeit fahren. Am Zebrastreifen warten Kinder, man hält an, und ein Passant kommt näher, klopft ans Fenster und sagt: „Entschuldigung, ist dir klar, dass du gerade träumst?“.
„Unmöglich“, möchte man antworten und weiterfahren – wenn man nicht gerade Alfred Kubin heißt. Er hätte wohl genickt.
Die Krux mit dem Erinnern
Wer also nur eine Realität begreift, ist mit seinem Bewusstsein gerade in eben dieser, selbst wenn er in zahlreichen Träumen mit seinem Bewusstsein woanders war. Die Krux ist das Erinnern.
Fragte man einen Träumer im Traum, ob er gerade wisse, dass er z. B. Peter Schmidt heiße und in seinem wahren Leben Tischler ist, kann er sich mit etwas Glück tatsächlich daran erinnern, oder aber, gemäß seiner momentan erfassten „Realität“, nur den Kopf schütteln.
Ebenso kann man Peter Schmidt, während er gerade Spanplatten zersägt, fragen, ob er denn wisse, dass er sehr gerne wie Schnee vom Himmel kommt, damit seine Tochter einen Schneemann aus ihm machen kann – in seinen Träumen – , und er würde ebenfalls nur den Kopf schütteln.
Realität ist immer an Bewusstheit geknüpft. Der Rückschluss jedoch, dass „Nichtrealität“ daher an Unbewusstheit geknüpft ist, ist unrichtig. Unbewusstheit ist nicht „Nichts“, sondern genau dort ist eine Vielzahl an „Realitäten“, die eben im Augenblick nicht erfahren werden können. Die Realitäten sind da. Das Bewusstsein nur bewegt sich gerade nicht dorthin. Alfred Kubin schien das gewusst zu haben, so wie Aldous Huxley und William Blake. Letzterer schrieb: „Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, würde den Menschen alles so erscheinen, wie es in Wirklichkeit ist.“
Superluzidität
Die Schnittmenge ist jener Teil, der von zwei Kreisen überlappt ist. Nimmt man die zwei Kreise für sich als unabhängige Realitäten, so kann das Bewusstsein diese nur durch „wechseln“ erfahren. Durch „umschalten“. Überschiebt man die Kreise zum Teil, so sind zwei Welten ineinander zu einem gewissen Teil verwoben.
Menschen, die ihren Bewusstseinsfokus in der Schnittmenge haben, erfahren zwei, manchmal mehrere, Realiäten gleichzeitig. Hier fußt Mystik, Spiritualität, Psychonautik, hier fußen paranormale Kräfte, hier ist jedoch auch, nach psychologischem Verständnis, Schizophrenie und Psychose zu verorten.
Etwas anderes ist „Super-Luzidität“. Der luzide Träumer, auch Klarträumer oder Oneironaut, nimmt sein Alltagsbewusstsein in den Traum mit. Er weiß im Traum, dass er in seinem anderen Leben z. B. Peter Schmidt heißt und Tischler ist. Doch der super-luzide „Mensch“ weiß in seinem Leben, bzw. zu jedem Zeitpunkt in der momentan erfassten Realität, immer, wo die „Schnittmenge“ ist, dass es eine Schnittmenge ist und in welcher Schnittmenge oder welchem Kreis von beliebig vielen Realitäten er sich gerade befindet. Er weiß es, weil er dazu in der Lage ist, sich dauerhaft zu erinnern.
Wissen darüber, wie die Realität konstruiert ist, gibt es aus dieser „Schnittmenge“ nicht erst, seit sich Literaten, Sänger und Mystiker schriftlich betätigten, sondern es entstammt auch aus den Weisheitsschriften der Gnostik, den Hinduschriften und dem Zen-Buddhismus. So darf Maya, sanskrit für „Zauberkunst“ und „Täuschung“, als traditioneller Begriff für „Matrix“ gelten. Maya ist, im Hinduismus, die Illusion selbst. Sie ist die Scheinrealität, in welcher wir alle zu existieren glauben.
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