Polyamorie (altgriechisch polýs „viel, mehrere“ und lateinisch Amor „Liebe“) bezeichnet im wesentlichen die Viel-Liebe. Es ist eine Beziehungsform, in welcher eine Person mehrere Partner gleichzeitig liebt und mit diesen mehreren in Beziehung ist. Dabei geht es nicht primär darum, mehrere Sexualkontakte, sondern mehrere Liebeskontakte zu pflegen. Diese Liebesvariante mit ihren sich ergebenden Mustern, Prozessen und Veränderungen wird ehrlich und offen allen Partnern kommuniziert und so (mehr oder minder) einvernehmlich gelebt.
Polyamorie: Eine neue Mode?
Polyamorie klingt fancy, aber neu ist weder der Begriff noch die Beziehungsform. Schon das Intellektuellenpaar Simone de Beauvoir (1908 – 1986) und Jean Paul Sarte (1905 – 1980) sowie einige Schriftsteller und Künstler versuchten, polyamor zu leben, wobei von Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre bekannt ist, dass das Paar mitunter Schwierigkeiten damit hatte. Dies u. a. deshalb, weil Jean Paul Sartre mehrere „Zufallslieben“ als Simone de Beauvoir hatte, womit ein Ungleichgewicht gegeben war.
Die Praxis des Vielliebens
Insbesondere jüngere Menschen der Moderne, die Polyamorie zwei bis drei Jahre versuchsweise oder ernsthaft gelebt haben, blicken auf diese Zeit häufig mit gemischten Gefühlen zurück. Dies verwundert nicht, weil Polyamorie auch unter reifesten und ich-stärksten Menschen zu emotionalem Schmerz führen kann. Steht zu Beginn das Unbekannte und das Abenteuer, die Freiheit und die gegenseitige Erlaubnis, mehrere Partner lieben zu dürfen, das Aufatmen und das Experimentieren, gerät die polyamoröse Welt spätestens dann ins Wanken, wenn ein Partner vier Nebenpartner und der andere nur zwei oder gar keinen Nebenpartner hat/findet. Auch die Stabilität und Exklusivität einer ev. vorausgegangenen Zweierbeziehung kann aus der Balance kommen. Ist ein Partner im siebten Himmel mit mehreren Nebenpartnern, beschleicht den anderen z. B. ein vages oder intensives Eifersuchtsgefühl, das er sich im polyamorösen Paradigma jedoch nicht oder kaum erlauben darf, denn „freie Liebe lässt frei“ und „gönnerhafte Liebe gönnt“. Sobald jedoch dieser Partner aufholt und ebenfalls mehrere Nebenpartner mit ins Boot nimmt, beschleicht den anderen sodann ein vages Angst- oder Eifersuchtsgefühl, was Konflikte und Trennungen vorprogrammiert. Dies ist ein möglicher von vielen, eher ungünstigen und schmerzhaften Verläufen innerhalb der Polyamorie.
Kritik in der Polyamorie: Kosten und Nutzen
Polyamorie ist ein Nährpool für Eifersucht und dies wird auch in der Polyamorie-Literatur offen thematisiert, sowie Strategien darin beschrieben sind, wie mit Eifersucht umgegangen werden soll. Hierin sehe ich jedoch eine gewisse Absurdität, denn seligmachend kann eine permanente Beschäftigung mit Eifersucht und dem Nehmen und Begegnen dieser nicht sein, zumindest nicht, wenn man anstatt „Beziehungs- und Selbstarbeit“ primär Liebe erfahren möchte und/oder wenn man sich in einer „gesunden“ Beziehung entspannen möchte und kann, eben weil diese als stabil und tragfähig erlebt wird. Mit anderen Worten: Polyamoröse Beziehungen sind relativ zerbrechlich und bergen ein hohes Stresspotential, bzw. einen unvorhersehbaren Wust an Beziehungs- und Selbstarbeit, auch müssen die multiplen Parallelbeziehungen permanent verwaltet, organisiert, kommuniziert und in ihren Belangen offengelegt werden, was viel Energie verbrauchen kann. Dies wirkt sich nachteilig auf schwierige Lebensphasen aus, man denke z. B., dass neben den Beziehungen mitunter noch ein Pflegefall eintritt, die Kinder krank werden, Prüfungen im Studium anstehen oder man in der Firma Überstunden machen muss …
Das Scheinglück in der Polyamorie
Polyamorie muss nicht notwendigerweise und per se negativ sein. Auch im Tantra gibt es das Modell in ähnlicher und m. E. nach „besseren“ Weise, Gruppenkuscheln, Gruppenliebe inklusive, wobei sich eine starke, urtümliche „Tantra-Herde“ herausbilden kann, die nach außen hin stark ist und nach innen hin jedem Individuum und den Kindern darin Schutz bietet. Doch im Tantra gibt es dafür einen anderen Rahmen und ein anderes Ziel.
Im modernen Westen ist dies innerhalb der Vielliebe anders gelagert, da hier weniger ein auf Erhalt gepoltes Gruppengefüge als ein individuelles Ausprobierenwollen innerhalb einer Gruppe mit „stark fluktuierendem Personal“ angestrebt wird. Im günstigsten Fall sorgen polyamoröse Verbindungen für Reifung und Selbsterkenntnis, doch in der westlichen Welt m. E. nach weniger für Glück, Sicherheit, Geborgenheit und Angenommensein, da die Exklusivität fehlt.
Das, was einem Partner gegeben wird, wird auch anderen Partnern gegeben, womit sich die „Liebe“ nicht vervielfacht, sondern in Wahrheit inflationiert, weil sie eben dadurch nichts Besonderes mehr ist. Es fehlt das Grundvertrauen in die vielen Beziehungen, denn sie können heute „toll“, morgen „konfliktbehaftet“ und übermorgen „futsch“ sein. Deshalb können polyamoröse Verbindungen emotional sehr schmerzhaft sein, weil Zurückweisung relativ schnell und wiederholt geschehen kann; auch können sie Chaos, Verwirrung und Unsicherheit ins Leben bringen, Kinder belasten und für permanenten seelischen Aufruhr sorgen.
Tummelplatz für Persönlichkeitsstörungen
Unglücklicherweise tummeln sich meiner Beobachtung nach viele Nähe- und Bindungsphobiker sowie verdeckte Narzissten und insbesondere Borderliner innerhalb der Polyamorie. Vor allem Borderliner haben, aufgrund ihrer Menschensucht, eine verhältnismäßig große Affinität zur Polyamorie. Doch Narzissten wie Borderliner sind zu echter (wahrer) Liebe im erwachsenen, reifen Sinn normalerweise nicht fähig, da sie eher „Humankapital“ auf schnellen Besorgungswegen bereit- und sicherstellen wollen, wobei der Borderliner i. d. R. empathisch und der Narzisst berechnend vorgeht. Die Liebe des Borderliners ist i. d R. kindlich, bedürftig oder sogar auf der Stufe des Säuglings, der symbiotisch mit der Mutter verschmelzen möchte, ein Narzisst wiederum braucht die „Zufuhr“. Der Bindungsängstler wiederum sichert sich z. B. nach mehreren Seiten hin gerne ab. Schön, dass ihm die Polyamorie hier die „offizielle Erlaubnis“ dazu gibt und ihm innerhalb seines eigenen „Unvermögens“ eine Struktur mit Trendbenefit gibt.
Wer also offenen Herzens und aufgeschlossen mit dem Konzept der Polyamorie liebäugelt, wird es u. U. mit diversen Persönlichkeitsstörungen von Menschen zu tun haben, die sich über ihre Störung gemeinhin nicht bewusst sind und die das Konzept der Polyamorie zu ihren Gunsten aus- und benutzen, sowie sich darüber legitimieren.
Wer wirklich Reife, bedingungslose Liebe, Verantwortung und emotionale Fairness in diese besondere Liebesform einbringt und sich eben diese Reife, Liebe und Verantwortung zurückwünscht, kann damit u. U. am Unvermögen/Selbstbetrug anderer Personen scheitern.
So stecken hinter und in polyamorösen Beziehungen auch „Trojaner“, die für ihre eigene Störung einen Teich gefunden haben, der dem persönlichen PH-Wert entspricht.
Was und wen gibt es denn noch? Und wie viele?
Eine weit verbreitete Motivation, sich in polyamoröse Strukturen zu begeben, ist weniger das Konzept an sich, nicht die Offenheit, die Ehrlichkeit und Selbstoffenbarung, nicht die Idee und auch nicht das Ideal davon, als die persönliche Frage, welche anderen Partner man noch (zusätzlich) haben könnte. So wie dies offen gelebt und kommuniziert werden kann, steht der Praxis auch in „moralischer“ Hinsicht nichts mehr im Weg. So kann ein pragmatischer und einvernehmlicher Weg des Suchens beschritten werden, eine „offene Beziehung“, die die vorhandene Beziehung allerdings eben damit infrage stellt. Im Vordergrund steht der Gedanke, bei Scheitern oder bei einem Fehler in der Nebenpartnerwahl einfach wieder in die angestammte Beziehung zurückkehren zu können. So ist es eher ein „auf Nummer sicher gehen“ wollen, als ein tatsächliches Verstehen und Leben der polyamorösen Theorie und der Liebe als solches.
Echte Liebe probiert und spekuliert m. E. nach nicht – entweder ist sie oder sie ist nicht.
Ob das sich Ausprobieren- und Erfahrenwollen mit Erlaubnis tatsächlich „moralisch“ ist, wage ich zu bezweifeln, nichtsdestotrotz endet diese Motivation meiner Erfahrung nach ebenso häufig in Enttäuschung und/oder emotionalen Schmerz – eben weil die bestehende Beziehung auf diese Weise verspielt werden kann.
Eine Rückkehr ist nicht immer möglich, auch kann der Partner in der Zwischenzeit mit anderen Partnern glücklich(er) geworden sein oder möchte „das Alte“ nicht wieder restaurieren müssen, weil der Partner sich erst jetzt bekennt oder er reumütig geworden ist …
Gönnerhafte Liebe gönnt!
Auch eine Haltung, die im Kontext betrachtet werden sollte. Ich bitte daher jeden, der „gönnerhafte Liebe“ als etwas prinzipiell Gutes betrachtet, sich genau vor Augen zu führen, was er sich selbst (außerhalb der Paarbeziehung) gönnt – und was er dem Partner (außerhalb der Paarbeziehung) gönnen möchte und warum, sowie wie sinnhaft die Beziehung ist, wenn der Fokus nicht nach innen sondern nach außen gerichtet ist. Wichtig zu eruieren ist, wohin das „Gönnen“ langfristig führen wird. Auch: Warum trägt die Beziehung als solche nicht, nährt nicht genug, reicht einfach nicht … ? Wann ist etwas wirklich Untreue? Wie sehr schmerzt es wirklich? Wo sind die eigenen Grenzen und was sind die eigenen Standards? Was würde man aus eigenem Selbstverständnis heraus dem Partner nicht zumuten und was soll oder will man ihm „gönnen“ oder „zugestehen“ (müssen)? (Dieser Satz stimmt grammatikalisch nicht, jedoch semantisch.)
Meiner Erfahrung nach sprechen sich für die gönnerhafte Liebe wiederum Narzissten, menschenfixierte Borderliner (männlich und weiblich) oder auch sehr gutmeinende, äußerst liebevolle Frauen aus. Aber was wird wirklich gegönnt? Ein Seitensprung? Ein Flirt? Oder gar die Trennung samt Scheidung?
Ich behaupte: Wenn ein Partner dem anderen etwas „gönnt“ oder „gönnen“ muss, was er sich mitunter selbst nicht auch „gönnt“, ist die Beziehung nicht nur in Imbalance, sondern nie „wahr“ gewesen. Mehr zur wahren Liebe und woran man sie erkennt: hier.
Auch sollte sich derjenige, der sich „begönnen“ lässt, fragen, warum er die bestehende Beziehung nicht selbst sauber abtrennt und mit jemanden anderen wie auch immer weiter geht, denn auch hier ist Selbsterkennungspotential gegeben: Wie viel Liebe, Mensch oder Sexualität braucht man? Warum soll der Partner stehen wie eine Eiche, während man selbst „ausfliegt“? Warum reicht der Partner nicht, soll aber trotzdem bleiben? Wie viel Bequemlichkeit und Sicherheit braucht man? Liebt man Menschen oder die Abwechslung? Kann man sich nicht entscheiden, locken überall potentielle Partner*innen? Warum kann man sich nicht entscheiden? Liebt und schenkt man wirklich oder will man eher „haben“?
Wahre Liebe lässt frei!
Ja, das stimmt, doch auch dieser Ausspruch hat tendenziell mit „gönnerhafter Liebe“ zu tun oder bekommt im polyamorösen Sinn diesen Spin. Selbstverständlich kann übermäßige oder grundlose Eifersucht destruktiv sein, sowie starke Besitzansprüche an den Partner destruktiv sein können. Das nicht Alleinesein- und für sich selbst einstehen können zählt hier ebenso dazu. Doch wenn eine Beziehung nicht durch Ausschließlichkeit, Grundvertrauen, Wärme, Respekt und Intimität geprägt ist, wie wertvoll ist sie dann?
Und selbstverständlich kann Eifersucht, Ärger, Schmerz oder Verlustangst gerechtfertigt sein, wenn der Partner offen und ungeniert mit anderen flirtet, betrügt und/oder fremdgeht. Wer sich „gerechtfertigte“ Eifersucht kategorisch verbietet und/oder dem Paradigma des „Wohlwollens/Gönnens“ aufsitzt, überhört ein sehr wichtiges Signal an sich selbst, nämlich: „Hallo, da stimmt etwas nicht. Dein Partner ist illoyal, respektlos und untreu. Du kannst dich auf diesen Menschen nicht verlassen. Bitte pass auf dich auf!“
Eifersucht als Warnsignal
In polyamorösen Beziehungen kann dieses Warnsignal sehr schnell auftreten. Bedauerlicherweise kann dies innerhalb des polyamorösen Wertegefüges mit „sozialer Unreife“, bzw. mit „Kindlichkeit“ abgetan werden. Ich wende mich daher nun insbesondere an junge Menschen im Alter von 20 bis 25 Jahren, die sich für das Konzept begeistern (lassen). Wenn ihr im Laufe einer polyamorösen Beziehung ein „ungutes“ Gefühl bekommt, dann lasst euch nicht einreden, ihr wäret nicht reif genug für diese besondere Beziehungsform, müsstet nur eure Verlustangst oder eure Eifersucht in Schach halten, sondern steigt am besten aus dem ganzen System/Konzept aus. Polyamorie kann mal eine Weile „gut laufen“, aber es kann sich auch schnell drehen und ins Gegenteil verkehren.
Wahre Liebe und Monogamie
Ich persönlich finde ein aufrichtiges Ja zu ausschließlich einer Person nicht nur mutiger und reifer, sondern erfüllender, weil die Exklusivität erhalten bleibt. Das heißt, beide Partner geben (sich) zu einhundert Prozent in diese Beziehung, weil beide im Gegenüber etwas Besonderes und Wertvolles sehen. Beide beschenken sich zu einhundert Prozent und ver-schenken sich nicht auf mehrere Partner zu 25 oder 20 Prozent, noch lassen sie sich von anderen Partnern mehr schenken, als sie zurückgeben können oder weniger, als sie wirklich brauchen. Auch ist beiden das Gelingen der Beziehung wichtig, sowie deren Erhalt, womit auch Kontinuität und Stabilität erhalten bleibt. Eine langfristige, gute monogame Beziehung gewinnt mit der Zeit ähnlich an Wert, wie eine Immobilie.
Auch bleiben gravierende und länger andauernde Nähe-und-Distanz-Schwankungen aus. Ist ein Partner z. B. auf Reisen, kann sich der andere dennoch sicher, vertraut und emotional nah mit ihm fühlen. Er mag physisch nicht anwesend sein, jedoch ändert sich für gewöhnlich an seinen Gefühlen nichts. Selbstredend kann es auch in monogamen Beziehungen Schwierigkeiten geben, doch hier beschreibe ich weniger den Idealfall einer monogamen Paarbeziehung, nämlich tiefe, dauerhafte und konstante Liebe über einen langen Zeitraum hinweg, sondern schlicht eine gesunde.
Die emotionale Kontinuität, eine stabile und dauerhafte Nähe, ist in polyamorösen Beziehungen nicht zwingend gegeben, denn es kann ein Partner wochen- oder monatelang mit einem anderen Menschen sehr intim werden, diesem sehr nahe kommen, und in dieser Zeit ist er wirklich „auf Distanz“, gleichsam „weg“, wenngleich kein Schlussmachen im eigentlichen Sinne ausgesprochen wird, dies sich aber trotzdem auf ungewisse Zeit so anfühlen kann. Auch kann er bei Scheitern oder Schwierigkeiten wieder zurückkommen (wollen) … Hier stellt sich die Frage, ob man den Partner dann wieder an- und zurücknehmen möchte oder ob man zwischenzeitlich mit anderen Partnern ebenfalls „auf Distanz“ gegangen ist, was die ursprüngliche Partnerschaft ohnehin in Frage stellt: Wie wertvoll ist eine Beziehung, die relativ schnell mit und durch andere ersetzt werden kann? Auch dies wirft wiederum die Frage auf, warum jemand überhaupt mehrere Beziehungen leben möchte, wieso er das Viele wirklich braucht, und ob nicht (auch) Naivität, Egoismus, Liebessucht oder eine Persönlichkeitsstörung – siehe Borderline/verdeckter Narzissmus – hinter dem Wunsch nach dem Vielen steckt.
Aber Monogamie funktioniert doch auch nicht!
Jein. Es mag die Trennungs- und Scheidungsrate für sich sprechen, doch wenn Beziehungsmodelle verglichen werden, so ist m. E. moderne Polyamorie nicht nur mehr Schein als Sein sowie in ihrer Sinnhaftigkeit generell angreifbar, sondern eine Fahrkarte in emotionales Chaos – somit das größere Übel.
Auch ist zu differenzieren, dass die monogame Gesinnung nicht ewig und unverbrüchlich im kirchlichen Eheversprechen anzusiedeln ist, sondern dass sie davon ausgeht, dass man mit ausschließlich einem Partner solange liiert ist, bis es zur Trennung kommt. Dies kann nach einem Jahr, nach zwanzig Jahren oder erst durch den Tod geschehen, doch in dieser Zeit beziehen sich beide Partner aufeinander, stehen sich bei oder versuchen es zumindest. Das heißt, die Sicherheit, dass außerhalb der Paarbeziehung keine dritten (vierten und fünften) Personen mithineinspielen, ist grundsätzlich da, denn dies bringt das monogame oder seriell monogame Konzept mit sich. Dass dennoch betrogen, fremdgegangen und verraten wird, hat wiederum mit Egoismen, mit Unreife aber auch mit Unglücklichsein, Krisen, Fehlentscheidungen und anderen Faktoren zu tun. Doch von eben diesen Faktoren sind polyamoröse Beziehungen nicht frei, sondern zusätzlich belastet und bestimmt.
Entwertung der Werte: Treue und Verliebtsein
In diesem Absatz möchte ich meine persönliche Überzeugung darlegen, dass die Fähigkeit zur Monogamie und Treue tatsächlich eine Fähigkeit ist – und kein Gebrechen, kein Störfaktor oder ein Problem. Auch ist die Fähigkeit zur Bindung für mich eine Fähigkeit und kein Störbild. Wer, warum auch immer, kein oder zuwenig Oxytocin ausschüttet, um das Urgefühl von Liebe und Vertrauen, von Ruhe und Bindung erfahren zu können, ist m. E. nach im Defizit und/oder stark im Nachteil, daher nicht Prototyp einer vermeintlich besseren Beziehungsform und Zukunft, wiewohl ich dies nicht auf Polyamorie beschränke, hierzu zählen „freie Liebe“, „offene Beziehung“, „Ménage-à-trois“, „Polygamie“, „Swingen“ usw. dazu. Auch möchte ich betonen, dass Monogamie nicht „lebenslänglich“ bedeutet, sondern dass sich prinzipiell jeder zu jeder Zeit aus monogamen Beziehungen lösen kann.
Wer also die Fähigkeit zur sexuellen und emotionalen Treue, Loyalität und Bindung hat und in eine Beziehung einbringt, darf Selbes auch zurückerwarten, denn es ist eine Fähigkeit. Bedenklich wird es, wenn eben diese Fähigkeit als „Unsinn“, altmodisch oder obsolet betrachtet wird. Natürlich kann Treue z. B. über einen Seitensprung enttäuscht werden, doch das ist dann weniger ein Zeichen eigener Unfähigkeit – sondern das Unvermögen zur Treue/Bindung des anderen. Das Handicap im Beziehungssinn hat sozusagen derjenige, der fremdgeht, nicht jedoch der, der zur Monogamie/Treue/Bindung fähig ist, denn der chronisch treulose Mensch ist hormonell – siehe Oxytocin – vom höheren Feld der Bindung, von Liebe, Urvertrauen und Urgeborgenheit abgetrennt – kann dieses lichtvolle Reich nicht/nie oder seltenst erreichen.
Aber das Herz ist so groß …!
Ich kann nachvollziehen, dass man sich in zwei Menschen gleichzeitig verlieben kann. Das kann geschehen. Durchaus! Doch wer sich (ernsthaft?) in drei, vier oder fünf Menschen gleichzeitig verliebt und all diese Beziehungen gleichzeitig leben möchte, ist m. E. nach nicht „trendy“ im Sinne der Polyamorie, sondern (für mich) eher unglaubwürdig und hat vermutlich ein mehr oder minder großes Problem mit „emotionaler Gier“.
Bekundet wird häufig, dass das eigene Herz so groß ist, um mehrere Personen gleichzeitig lieben zu können. Ich kann natürlich nicht jemandes ureigenste Empfindung verifizieren, doch selbst wenn das Herz groß genug ist, dürfte es das Zeitbudget nicht sein, das heißt: Wenn ein Mensch fünf Personen gleichzeitig liebt, so kann er jedem nur ein Fünftel von sich geben. Es mag die zu einem Fünftel verbrachte Zeit vielleicht besonders oder aufregend sein, dennoch ist und bleibt es nur ein Fünftel.
Doch auch abseits jeglicher Spekulation, wann und wie Zeit qualitativ verbracht wird, möchte vermutlich jeder, der aufrichtig liebt, für seinen Partner unique, sprich „die Nummer eins“ sein: unverwechselbar, unaustauschbar. In diesem Rang/Bedürfnis mit anderen Nebenpartnern gleichgestellt zu werden kann eine seelische Verletzung bewirken und zeugt m. E. nicht von reifer/echter Liebe, sondern wiederum von Inflationierung derselben.
Derjenige, dessen „Herz groß genug ist“, sollte sich m. E. wirklich fragen, wie reif seine Liebe tatsächlich ist und ob sein großes Herz wirklich schenken und alle Partner in ihrer Individualität begreifen und kennen lernen – oder doch eher nehmen/haben möchte.
Bekannte monogame Paare
Beispiele von langjährigen, monogamen und nährenden Beziehungen sind nicht nur Utopie oder Wunschdenken, sie existieren tatsächlich. Hier sind Clark Gable (1901 – 1960) und Carole Lombard (1908 – 1942) zu nennen, wobei Hollywood-Beau Clark Gable vor der Beziehung zu Carole Lombard stets langjährige, monogame Beziehungen pflegte. Auch das Intellektuellen- und Aktivistenpaar Inge Jens (geb. 1927) und Walter Jens (1923 – 2013) lebte in einer sehr würdigen, sinnerfüllten, monogamen Beziehung. Der amerikanische Schauspieler Will Smith lebt mit Jade Pinket Smith ohne Skandale seit Jahrzehnten monogam, weiters James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan und Keely Shaye sowie Sänger Jon Bon Jovi und Dorothea Hurly. Vom 2009 verstorbenen Schauspieler Patrick Swayze ist bekannt, dass er zu seiner Frau Lisa Niemi bis zu seinem Tod eine innige, monogame Beziehung pflegte, die zwar aufgrund seines Alkoholproblems von Herausforderungen geprägt, jedoch nie durch Untreue belastet war. Ebenso hier zu nennen ist das bekannte amerikanische Juristenehepaar Ruth Bader Ginsburg (1933) und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann Martin Ginsburg.
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Liebe Tanja
Dieser Artikel spricht mir aus der Seele.
Ich hatte das Pech und ja ich kenne es Pech einen Partner zu haben der mich auf diese Schiene bringen wollte. Witziger Weise eine BL*in.
Und ich kann nur bestätigen was du über die Szene schreibst. Auffällig viele denen man ansieht das sie irgendwo ein
Problem haben. Oder ein gestörtes Partnerschaftsbild.
Vorallem wenn man Monogam ist wird man in dem Kreis komisch
Angeschaut (ich war meiner Partnerin zur liebe mal mit auf einem dieser Polystammtische)
Das was es mir am meisten suspekt macht ist zum
Einen der Umgang mit Eifersucht oder nicht wollen von mehrfach Beziehungen.
Da gibt es ein nettes Comic : Die Vielfalt der Liebesbeziehungskonzepte.
Das ist finde ich super bezeichnend. Denn wenn man
Sich das mal
Ansieht da wird Komplet die gefühlswelt vom Partner ausgeblendet bzw ignoriert. Es spielt keine Rolle ob der Partner eine mehrfachbeziehung will oder nicht es wird als“er akzeptiert es“ vorausgesetzt.
Es ist traurig. Ich bin immer Monogam gewesen und kann mir das nicht vorstellen. Klar gibt es die Phasen wo es passieren kann das man sich in jemanden anderen verguckt. Aber das ist in 9/10 Fällen dann Schwärmerei.
Und wenn nicht dann muss man so Fair sein und die Beziehung beenden so das der andere auch wieder weis woran er bzw sie ist.
Polyamorie ist für mich auch drastisch gesprochen nur ein erlaubtes Fremdgehen.
Und ja sicher kann man viele Menschen attraktiv finden Begehren und sich auch auf einer Ebene in sie verlieben aber das wir einem Partner bewusst treu sein könne uns dafür entscheiden können. Das unter scheidet uns im wesentlichen vom Tier. Denn das wird nur seinen Trieben folgen.
Darum ist für mich Polyamorie nichts weiter als ein Rückschritt.
Was ich leider auch bemerke und schade finde das immer mehr Junge Menschen diese art der Partnerschaft anstreben. Und das finde ich als jemand der eine richtigen Partner Sucht sehr unglücklich.
Danke für deinen Blog
Alles liebe Montague
Liebe Tanja
Treffender hätte ich es nicht schreiben können. Dein Artikel spricht mir so aus der Seele.
Als langjähriger (Single-) Teil der Swingerszene durfte ich so einige absurde Beziehungsformen und Ansichten anhören und miterleben. Mir ist aufgefallen, dass die meisten Menschen, die ich kennen lernen durfte, gar nicht so eifersuchtsfrei sind, wie sie immer angeben. Im näheren Gespräch ist oftmals ausgekommen, dass die Dame „halt einfach mitmacht“, weil sie weiss, dass sie ihren Liebsten sonst gar nicht halten kann oder die Herren mir grossmütig, aber ohne jegliche fundierte Auseinandersetzung mit dem Gesagten, ganz verallgemeinernd erklären wollten, „der Mensch sei nicht für die Monogamie gemacht“. Darauf entgegne ich heute noch mit: „Dann bin ich scheinbar kein Mensch.“
Genau so ist mir ein Herr begegnet, der mir weis machen wollte, dass für Polyamorie nur gereifte Persönlichkeiten in Frage kämen und aus dem Grund keinerlei Ansprüche mehr ans Gegenüber stellen. Ich sei, seiner Meinung nach, auf der Flucht vor mir selber, weil ich zu der Zeit sehr oft unterwegs war und mein Leben anderweitig und mit allen Sinnen genoss, als mich ständig mit diesem energieraubenden Thema auseinander setzen zu müssen. Er „band“ mich als 5. platonisches Mitglied in ihr Polyamorie-Konstrukt ein, was ich ganz klar als absolut lächerlich deklarierte und gar nicht ernst nehmen konnte. Ich prognostizierte ihm das, was ich schon Jahre zuvor bei anderen Paaren miterlebte, die am Polyamorie-Konstrukt gescheitert sind und machte ihn darauf aufmerksam, dass er und die restlichen Mitglieder gar nicht wirklich glücklich ihre Zeit zusammen verbringen, sondern ständig schwermütig am Diskutieren sein werden, warum jetzt gerade wer mit wem nicht zufrieden sei.
Ein Jahr später trennte er sich von seiner Frau und gab kleinlaut zu, dass ich mit allem recht gehabt hätte. Es wäre ein fauler Kompromiss gewesen, weil seine Frau immer auf der Jagd nach Bestätigung war und nicht mit dem Älterwerden fertig wurde. Sie war übrigens eine diagnostizierte ADHS-Persönlichkeit.
Vielmals höre ich von den „Free-Lovern“ Eifersucht sei ein Zeichen einer selbstwertschwachen Persönlichkeit. Ich selber bin der Meinung, dass es von mangelndem Selbstwert zeugt, wenn man sich immer wieder durch neue Eroberungen seine Attraktivität beweisen muss.
Keine Frage, wer single ist, soll und darf sich austoben, doch in einer echten, tragenden Paarbeziehung sind wo 3 sind, einer zuviel.
Ich beschimpfe niemanden, der diese Form leben oder es ausprobieren will, allerdings lache ich lauthals, wenn ich höre, es zeuge von Reife, mehrere Menschen „lieben“ zu können, denn ich bezweifle, dass diese Menschen wahrhaftig lieben. Wahre Liebe gibt, selbst wenn sie (vorübergehend) nicht nimmt und so mancher wird genau in so einer Episode eben doch eifersüchtig, wenn er miterleben muss, dass der Partner das im Überfluss hat, was einem selber gerade verwehrt bleibt.
Als Aussenstehender ist es so ersichtlich, dass Polyamore weniger des Gebens wegen polyamoureus sind, als einfach aus der Tatsache heraus, nie „satt“ und zufrieden zu sein, geschweige denn an sich selber arbeiten zu wollen. Seine Defizite und unerfüllten Wünsche auf mehrere Personen zu verlagern, macht es eben einfacher…
Danke Tanja, Deine Seite ist spitze!
Hallo Marisa,
lieben Dank für deinen Kommentar und das Feedback zu meinem Blog. 🙂
Ich danke dir auch für deinen persönlichen Erfahrungsbericht hier, dem aus meiner Sicht nichts hinzufügen ist.
Lieber Gruß,
Tanja